Die Gruftis erobern das Schloss
Von Katja Zimmermann

Raffiniert wie Models gucken die drei Gothic-Fans in die Kamera: Claudia Gottschlik aus Großschönau,
Kathrin Ulbrich aus Seifhennersdorf und der Cunewalder Tino Engmann. Foto: Fotoatelier
Ursula Schulz
Seine Fingernägel sind schwarz gefärbt, die nackte Brust bedeckt nur ein Netzhemd, den Hals ein Stachelhalsband. Hüftabwärts steckt er im wahrsten Sinn des Wortes in einem Beinkleid. Tino Engmann aus Cunewalde gehört der Gothic-Szene an, der heute Abend als Auftakt zum diesjährigen Hainewalder Schlossfest zum vierten Mal ein eigenes kleines Festival geboten wird. DJane Inanna wird dabei sein, freut sich der 21-Jährige. Gerade hat er eine neue Art für sich entdeckt, die Augen in seinem blassen Gesicht mit Kajal noch mehr in Szene zu setzen: durch einen fast bis ans Ohr verlängerten, spitzzulaufenden Lidstrich.
Tino Engmann ist wie viele der Gruftis, wie seinesgleichen oft wegen ihres Faibles für dunkle Klamotten und Friedhofstreffen von Außenstehenden genannt werden, als Teenager auf die schwarze Sub-Kultur aufmerksam geworden. Ich habe die Musik gehört und bin neugierig geworden, erklärt er. Schon seit etwa sechs Jahren fühlt er sich nun in diesem Kleidungsstil wohl, fährt fast jedes Wochenende zu speziellen Partys nach Dresden. Er schwärmt von dem Gemeinschaftsgefühl unter den Fans der ziemlich schaurigen Gothic-Musik. Gothic ist englisch für gotisch und wird in dieser Kultur im Sinn von schaurig, düster gebraucht.
Klamotten selbst genäht
Auch Kathrin Ulbrich Schmuckdesignerin aus Seifhennersdorf, die teilweise in Norwegen lebt und dort als Goldschmiedin arbeitet fühlt sich der Schwarzen Szene zugehörig. Sie vermeidet jedoch aus Überzeugung zu auffälliges Make-up. Ihr dunkles Haar hat die Enddreißigerin dagegen durch rote, zur Hose passende Haarteile, sogenannten Dreads, aufgepeppt.
Die Mitglieder der Gothic-Szene stehen für ein Sammelsurium an Lebensanschauungen, religiöser Zugehörigkeit und politischen Einstellungen. Die Schwarze Szene, als deren Herzstück die Gothic-Kultur gilt, vereint etwa acht Strömungen. Neben den Gothic- finden sich hier unter anderem auch Elektro-, Metal- oder Medieval- (Mittelalter-)Fans. Besonders gern feiert die Schwarze Szene auf Festivals, wie es heute in Hainewalde stattfindet. Das größte Gothic-Festival in den Neuen Ländern mit Namen Wave-Gotik-Treffen (WGT) steigt jedes Jahr zu Pfingsten in Leipzig mit über 20000 Besuchern.
Die Schwarze Szene wird immer bunter, hat Kathrin Ulbrich die letzten drei Jahre in Leipzig festgestellt. Sie hatte 2004 bis 2008 komplett in Norwegen gelebt und als Goldschmiedin gearbeitet und konnte deshalb nicht am WGT teilnehmen. Bei ihrem ersten Besuch dort, 1995, sei noch alles tief schwarz gewesen. Farben wurden schief beäugt. Inzwischen seien zu Festivals sogar LED-Farben und bunte Bein-Puschel oft vertreten. Fracks und Zylinder, Korsagen, Reifröcke und aufwendig toupierte Haarfrisuren sind oft zu sehen.
Kathrin Ulbrich hat ihren selbst designten Schmuck aus Silber, Edelstahl und Holz schon mehrmals bei den zwei großen Gothic-Festivals Mera Luna (übersetzt: der reine Mond) in Hildesheim und dem WGT in Leipzig verkauft. Ihre limitierten Ringe, Anhänger und Colliers treffen auf viele Fans. Dieses Jahr hat sie zum ersten Mal einen Stand auf dem Hainewalder Schlossfest.
Tino Engmann und seine Freundin Annabel (21), die auch zur Gothic-Szene gehört, sind stolze Eltern von Fynn-Jona. Der Anderthalbjährige trage aber nur selten Schwarz, sagt Tino Engmann lachend. Im Gegensatz zu vielen anderen aus der Szene, die ihre Wohnungen schaurig mit Totenschädeln, Grableuchtern und Ähnlichem dekorieren, hätte die kleine Familie bei sich bewusst darauf verzichtet. Fynn-Jona solle normal aufwachsen.
Quelle: SZ-Online vom 15.06.2012