Früh aufstehen und nichts vorhaben

Von Annett Welsch

Wenn sie in der Pause in Grüppchen zusammenstehen, viel lachen, rauchen nebenbei, dann ist es ein bisschen wie auf dem Schulhof. Dabei gehen die jungen Leute schon eine ganze Weile nicht mehr zur Schule. Verschiedene und doch ganz ähnliche Umstände haben sie arbeitslos gemacht. Seit 28. August arbeitet der bunte Trupp in einer ABM in Hainewalde. Morgens 7.45 Uhr beginnt die Arbeit. “Ganz schön früh”, sagt Steve mit der schwarzen Lederjacke und dem breiten Grinsen. Früh aufstehen ist nicht seine Sache, war es noch nie. In Görlitz hatte er eine Lehrstelle als Maurer, musste jeden Tag 4 Uhr früh raus. “Da bin ich eben manchmal zu spät gekommen”, sagt er. Irgendwann hat der Chef ihn rausgeschmissen. Nur noch ein halbes Jahr hätte ihm zum Lehrabschluss gefehlt. Die Geschichten ähneln sich: Lehre abgebrochen; Lehre nicht beendet, weil der Betrieb kein Geld mehr hatte; Lehre beendet, aber nicht übernommen worden. Gerd war nach beendeter Fliesenlegerlehre ein halbes Jahr arbeitslos, bevor er in die ABM reinrutschte. Bei Mariusz, der Holzbaufacharbeiter gelernt hat, waren es sogar zwei Jahre. Einige der jungen Leute sind über die Offene Jugendwerkstatt Zittau nach Hainewalde gekommen. “Arbeiten statt Sozialhilfe” hieß die Aktion, bei der auch Susi, genannt Schraube, mitgemacht hat. Kauffrau im Einzelhandel hat sie gelernt, danach war sie ein Jahr arbeitslos. Auch Marlene ist von der Offenen Jugendwerkstatt in die ABM vermittelt worden. “Wir haben gebaut und gebastelt”, sagt sie. “Das war viel besser, als zu Hause rumzusitzen.” Marlene ist froh, dass sie jetzt in Hainewalde beschäftigt ist. “Früh aufstehen und nichts vorhaben – das ist das allerschlimmste.“Insgesamt 15 Jugendliche haben jetzt ein Jahr lang jeden Tag etwas vor. Zurzeit arbeiten sie praktisch, räumen Stroh und Maschinen aus einer alten Scheune, die abgerissen werden soll. Ab Dezember folgt ein halbes Jahr Theorie, danach wieder drei Monate Praxis. Dienstleistungen für Arbeitsmarkt und Wirtschaft heißt der Arbeitgeber der jungen Leute; in der sechsmonatigen Theoriephase werden sie vom TÜV betreut. Vergeben wurde die ABM von der Gemeinde Hainewalde.“Das Ziel ist, dass die Jugendlichen wieder in den Arbeitsprozess einsteigen”, sagt Vorarbeiter Günther Szameitat. “Mit jedem Jahr, dass sie zu Hause sitzen, wird das schwieriger.” Über das “danach” machen sich die jungen Leute unterschiedlich viele Gedanken. Sie wissen, dass es auf dem Arbeitsmarkt in einem Jahr wahrscheinlich nicht viel besser aussehen wird. Marlene will eigentlich nicht weg von Zittau, würde aber um der Arbeit willen ein paar Jahre pendeln. Jens, der Baumschulgärtner gelernt hat und danach ein Jahr lang keine Arbeit hatte, fühlt sich hier verwurzelt. Er hilft auf dem Bauernhof seiner Eltern mit und will ihn später auch übernehmen. Sein Arbeitstag mit ABM und Landwirtschaft dauert 14 Stunden. Nicht nur um die Zukunft machen sich die Jugendlichen Sorgen, auch in ihrem ABM-Alltag gibt es Probleme zu lösen. Weil die Arbeit in den letzten Augusttagen begann, bekommen sie ihren ersten vollen Lohn erst jetzt im Oktober. Den September mussten sie mit 197 Mark überstehen, davon Essen, Fahrtkosten, die meisten auch eine eigene Wohnung bezahlen. Hart war das, sagen sie. Viele mussten sich von ihren Eltern Geld leihen. Ein Handy haben sie trotzdem.

Quelle: SZ-Online vom 13.10.2000

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