Gemeindeblatt vom 17. Oktober 2014

Liebe Hainewalder, liebe Leser des Nachrichtenblattes,

Am Tag nach der „Blasmusik im Mandautal” am 4. Oktober herrschte auf dem Vorplatz der Turn- und Festhalle reges Treiben, denn Herr Wagner und der Schützenverein hatten ein buntes Programm zusammengestellt. Foto: Maik Opitz

Am Tag nach der „Blasmusik im Mandautal” am 4. Oktober herrschte auf dem Vorplatz der Turn- und Festhalle reges Treiben, denn Herr Wagner und der Schützenverein hatten ein buntes Programm zusammengestellt. Foto: Maik Opitz

die „Blasmusik im Mandautal“ ist seit nunmehr 19 Jahren ein Dauerbrenner jeweils am 3. Oktober in unserer Turn- und Festhalle. Keines unserer Dorffeste bringt so viele Menschen aus Hainewalde und Umgebung auf die Beine. Gern erinnere ich mich an das 1995 geführte Gespräch mit dem Kapellmeister der
Oberländer Blasmusikanten, Jürgen Neumann, mit dem Ziel, die einst rege genutzte Turn- und Festhalle wieder etwas zu beleben.

So ging es 1995 mit dem ersten Konzert los und die Begeisterung jeweils im Doppel mit einer Gastkapelle zu spielen, hat sich bis heute erhalten. Das Publikum ist – so wie wir – älter geworden; es hält aber tapfer zur Stange. Die neue Freiheit nach der Wende gestattet auch alte Märsche, die zu DDR-Zeiten nicht erwünscht oder sogar verboten waren, zu spielen.

Ich bin bester Hoffnung, dass sich der 3. Oktober länger als Feiertag hält, als der 7. Oktober zu DDR-Zeiten und die „Blasmusik im Mandautal“ noch lange durch das Tal schallt.

Gedanken zum Tag der deutschen Einheit

Der „Tag der Einheit“ lässt auch mich oftmals in Gedanken schwelgen. Wie war es denn damals in der DDR? Wie hat man den Staat selbst erlebt? Wie war es zur Wende 1989? Wie empfindet man die Zeit danach, bis jetzt? Mit Baujahr 1951 hat man viel erlebt und man kann sich ein Bild machen. Als Kind habe ich, wie der sicher größte Teil der nachwachsenden Generation, nicht viel vom Staat mitbekommen. Spiel mit Gleichaltrigen in der herrlichen Natur am Breiteberg bestimmte meinen Alltag.

Erste Fragezeichen, ob der vorgezeichnete Weg von den Pionieren zum FDJ-ler und dem Fahneneid doch der einzig richtige ist, entstanden bei mir, als unsere – und auch von den männlichen Lehrern – sehr beliebte Chemielehrerin beim Fahnenapell nach den Sommerferien plötzlich als Vaterlandsverräterin tituliert wurde, weil sie sich in den Westen abgesetzt hatte. Da die plötzliche Wandlung der Lehrerschaft in der Beurteilung der jungen Frau bei vielen Schülern – so auch bei mir – für Verwirrung sorgte, regte sich verschiedentlich auch der stille Protest. Ich für meinen Teil fasste den Entschluss, mich – statt der „staatlich geförderten“ Jugendweihe – konfirmieren zu lassen. Dabei ahnte ich nicht, dass mich dieser Schritt ein Jahr längere Ausbildungszeit (10-Klassenabschluss mit Berufsausbildung) kosten würde, weil ein „gesellschaftlich inaktiver Schüler“ – Konfirmand – eine dementsprechend negative Beurteilung bekam. Dazu noch Fernsehempfang vom bayrischen Ochsenkopf am Breiteberg.

Das musste pauschal zur Einstufung „als nicht geeignet für höhere berufliche Ansprüche“ reichen. Da fehlte nur noch Westverwandtschaft. Die war mir leider nicht vergönnt, sodass ich Allzeit mit Ostklamotten rumlaufen musste. Dafür räumte ich bei den Wintersportmeisterschaften der Schule in der Disziplin Abfahrtslauf regelmäßig alle Medaillen ab, obwohl der Sohn vom Schuldirektor schon in „Westskiern“ aus Plaste (äh .. Kunststoff) und mit Stahlkanten fuhr. Der Umstand, dass ich nicht ganz so im Tal der Ahnungslosen lebte, brachte mir in der Berufsschule sogar einen ungeahnten Vorteil. Die Frage unseres Staatskundelehrers Bock, was man denn unter „Konjunktur“ verstehe, konnte ich tadellos beantworten, da ich die Definition dazu rein zufällig am Vortag im Westfernsehen mitbekommen hatte. Fortan lobte mich Herr Bock in diesem lebenswichtigen Fach regelmäßig mit einer Eins, egal wie dumm ich mich auch anstellte.

In den turbulenten Vor- und Wendetagen lernte ich viele interessante Leute kennen. Darunter Pfarrer Hempel aus Großschönau, der zu einer Symbolfigur der friedlichen Wende wurde. Mich würde interessieren, wie dieser aufrichtige Mann über das Hier und Heute denkt. Bei den Demos in Zittau führte der Kerzenzug am ehemaligen Sitz der Staatssicherheit am Bahnhof vorbei.

Das „Weiße Haus“ war für mich bis dahin nicht bekannt.

Erstaunlich und nachwirkend für mich war 1993(!), als Redakteur einer hiesigen Tageszeitung, meine erste gefühlte Begegnung mit der ehemaligen Staatssicherheit und der Erkenntnis, dass die Mitarbeiter der Medien als Sprachorgan der SED ein sehr „enges“ Verhältnis zum Arbeiter- und Bauern-Staat haben mussten, um erfolgreich zu sein. Mein geäußertes Unverständnis über die „Wendigkeit“ mancher Leute war gleichzeitig mein „Aus“ bei der Presse, weil ich offensichtlich die Seriosität der „gewandelten“ Medienmacher in Frage gestellt hatte.

In meinem Jahr bei der Zeitung 1993 traf ich einen ehemaligen Kollegen wieder, der einstmals im Kampf um den Titel „Sozialistische Brigade“ jeden denunzierte, der nicht linientreu war oder sich vor dem 1. Mai-Umzug drückte. Er ist jetzt anerkanntes Opfer des Stalinismus und bezieht eine Zusatzrente, weil er wegen einer Aktion nach dem Mauerbau in der Haftanstalt Bautzen eingesessen hatte. Seine Opfer verachten ihn für die Zeit danach. Wie in jeder vorherigen Revolution hat die 89er auch sehr eigennützige „Kämpfer“ an die Macht gespült. So begegnete mir 1993 ein ehemals in Unehren (aber nicht aus politischen Gründen!) aus der Nationalen Volksarmee der DDR entlassener Offizier als Amtsleiter im Landratsamt und im Arbeitsamt als Arbeitsvermittler ein ehemaliger SED-Parteikader der ROBURWerke. Letzterer wollte wohl auch an dieser Stelle das Beste für seine ehemaligen Genossen vermitteln; eben die begehrten gut bezahlten Posten in unserer industriell „bereinigten“ Region.

In meiner Zeit als Bürgermeister habe ich die vielen guten Facetten der neuen Freiheit kennen lernen dürfen. Aber ich habe – auch in meiner Funktion als Kreisrat – Vorkommnisse erleben müssen, von denen ich dachte, sie könnten nur im Film vorkommen.

Die Tatsachen belehrten mich eines Besseren. Erstaunlich nur, dass sich bei bestimmten Entscheidungen alle Parteien von tiefschwarz bis dunkelrot einig sind. Ist das persönliche Vorteilsdenken schon wieder salonfähig? Das wollten wir doch abschaffen, oder? Die allseits vollen Regale und der volle Magen sollten uns den Blick für den politischen Alltag nicht eintrüben. Es ist wieder Herbst und wir waren schon einmal aufmerksamer und politisch aktiver als 1989 die Blätter vielen. Die Wahlbeteiligungen zeigen es deutlich.

Wie heißt es doch in einem vielgespielten Hit der Prinzen: „Doch es war nicht alles schlecht…“ Augen auf! Auch heut ist nicht alles gut. Wie es die Praxis zeigt, gibt es mehr Freiheit. Die Abhängigkeiten, um im Leben vorwärts zu kommen, sind nicht verschwunden. Sie sind nur anders gelagert.

Ich wünsche Ihnen einen farbenprächtigen Herbst.

Ihr Jürgen Walther

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