Liebe Hainewalder, liebe Leser des Nachrichtenblattes,

Gemeindeblatt vom 13. September 2013

„wer die Wahl hat, hat die Qual“, heißt ein gängiges Sprichwort. Ich erinnere mich des Ausdrucks öfter im Baumarkt. Bei der Fülle der verschiedenen Angebote zum selben Produkt komme ich oft ins Straucheln und es fällt mir schwer das richtige Teil meiner Begierde in den Warenkorb zu legen. Dabei huscht mir schon mal der Gedanke durch den Kopf, wie „schön“ es doch zu DDR-Zeiten war, als Mann vorsorglich von der vielleicht einzigen Fliesensorte (unter dem Ladentisch) gleich noch 10 Quadratmeter mehr mitnahm. Immerhin sollte nicht nur das Bad, sondern in den nächsten Jahren auch die Küche gefliest werden. Das Einheitsgrau war damit vorprogrammiert. Aber Hauptsache man konnte mit Fliesen an den Wänden glänzen und nicht mit abwaschbarer Folie. Fliese war schick und man fühlte sich schon in gehobener Stellung unter der nicht mit Valuta ausgestatteten Bevölkerung.

Soweit zu den Wahlmöglichkeiten gestern und heute auf dem Baumarkt. Bei den vor uns liegenden Bundestagswahlen sieht es – man möge mir die satirische Anwandlung verzeihen – in meinen Augen nicht viel anders aus. Die Vielfalt der Angebote und der an allerlei Strom- und Lichtmasten zur Schau gehängten Produkte – sprich Kandidaten – ist ähnlich verwirrend. Dabei hoffe ich innigst, dass sie nach der Wahl nicht so viel Schaden machen, wie vorher mit den Halteseilen am Lichtmast. Aber alles dient ja der Werbung, so, wie wir sie wöchentlich im Briefkasten auch vom Baumarkt haben. Der eine Kandidat schaut etwas sehr verschlafen vom Plakat und man möchte denken, er sollte eher für das dämliche Bettenlager werben als für eine streitbare Partei. Der andere drunter zeigt ein überlegenes Lächeln, in dem Wissen, dass er für das Zeigen seines Konterfei gleich mal 100.000 Euro aufs eigene Konto bekommen hat und er mit einem jetzigen Kanzlergehalt sein armseliges Leben nie und nimmer bestreiten könnte. Der Dritte verspricht uns für die Zeit nach seiner Wahl den Himmel auf Erden und dass wir die herumfliegenden gebratenen Tauben nur fangen müssten um ihn (den Kandidaten) allzeit satt zu haben. Ein Wiesenfarbener verspricht vollmundig, dass die neue B178 , die unsere wunderschöne Landschaft schon seit mindestens fünfzehn Jahren durchtrennen müsste, nie fertig würde, wenn man ihn wählte. Er wüsste noch eine Vielzahl seltener Vögel und vom Aussterben bedrohter brauner Schnecken die jedes Planfeststellungsverfahren ad absurdum führen würden. Allein die verschmitzt lächelnde Frau darunter weckt Vertrauen. Mit physikalischer und fiskalischer Genauigkeit scheint sie mir vorrechnen zu können, wie groß der einnehmerische Unterschied zwischen arm und reich künftig sein wird und sie scheint mir empfehlen zu wollen, dass ich mir als absehbarer Rentner noch ein paar Ehrenämter zulegen sollte. Ich könnte doch wenigstens nach außen den Eindruck erwecken, dass es mir gut geht, wenn ich nur irgendwie beschäftigt bin und beständig bete „unser täglich Brot gib uns heute“.

Nehme ich aus der über mir hängenden Wahlwerbung nun das günstigste Angebot oder lege ich noch Paar Euro drauf um mehr Klasse als Masse zu haben. Die Gefahr einer Mogelpackung besteht allemal zusätzlich und vom Umtauschrecht kann ich erst nach Jahren – zur nächsten Wahl – Gebrauch machen. Wer billig kauft, kauft mindestens zwei Mal…Schwierig, schwierig! Bei den nicht ganz uneigennützigen Bewerbern über mir auf den Plakaten fällt mir die Wahl schwerer als bei den Fliesen auf dem Baumarkt. Die Kandidaten wollen laut Werbespots (warum werden die eigentlich nicht mit zwei „t“ geschrieben?) dem Volke dienen, den Amtseid einhalten, das Grundgesetz achten und überhaupt nur Gutes tun. Dabei erinnere ich mich an eine Partei, die vor Zeiten die Steuererklärung auf dem Bierdeckel versprach und später wohl erkennen musste, dass Steuerberater ein nicht zu unterschätzendes Wählerpotential darstellen. Und so waren alle Versprechen mit der Entsorgung des besagten Bierdeckels verschwunden. Eine Mücke (so heißt ein wichtiger Bundestagsabgeordneter aus Sachsen) ist eben noch keine gebratene Taube. Was die Kandidaten da oben am Mast womöglich bremst ihre großen Versprechen wahr zu machen, ist die Verpflichtung sich selbst und dem Wähler gegenüber. Denn Politiker an einer bezahlten, hauptamtlichen Stelle zu sein ist heut nicht unattraktiv und sichert nach der zweiten Wahlperiode ein erquickliches Einkommen auf Lebenszeit. Und welcher gescheite Politiker wird schon sein eigenes Wahlvolk verärgern wollen, wenn er Steuerberatern die Arbeit reduziert, unnütze Beamte abschafft, oder wertlose Gesetze oder Vorschriften außer Kraft setzt, die anderen stapelweise unbegrenzte Einkommenssicherheit bieten? Ist doch alles logisch, oder? Wenn es der Masse des Volkes gut geht, fallen die nicht sehr auf, denen es fantastisch gut geht und Volkes Seele ist damit befriedet. „Man kann`s ja eh nicht ändern“, hört man täglich. Prima! Das ist gelebte Demokratie.

In obigen Zusammenhang erinnere ich mich der Aussage unseres Ministerpräsidenten Tillich vor zwei Jahren in Löbau, als er sinngemäß sagte, dass sich seines Erachtens die (seine!) Beamten in höheren Einstufungen mit neuen Vorschriften und Verordnungen selbst mit Arbeit versorgen, damit sie sicher bis zur Rente kommen und anschließend satte Pensionen erhalten. Er hat an dieser Stelle etwas gesagt, was jeder weiß, der mit der Materie halbwegs vertraut ist. Er unterstreicht damit aber auch die Ohnmacht der Vorgesetzten, an diesem skrupellosen Selbstbedienungsladen etwas zu ändern. So kämpfen Personen für Parteien vor der Wahl um Macht über das Land, um nach der Wahl feststellen zu müssen, dass sie eigentlich ohnmächtig sind, Missstände abzubauen.

Im Wissen und spüren dieser Umstände im Berufsalltag neige ich bei meiner Wahlentscheidung zu der Tendenz, der momentan gut funktionierenden Wirtschaft einen Schuss an mehr sozialer Gerechtigkeit beizufügen um dem sichtbaren Auseinanderdriften der Gesellschaft Einhalt zu gebieten und die Welt vielleicht etwas überlebenssicherer zu machen. Einzelpersonen können mich aufgrund von Alltagsereignissen nicht unbedingt überzeugen; Parteien, die an der 5-prozentmarke herum dümpeln auch nicht.

Auf alle Fälle gehe ich Wählen. Zumindest zwei Parteien kommen meinen Vorstellungen auf der Werbung nahe. Ob sie das halten, was sie versprechen ist erfahrungsgemäß…na vielleicht gerade dieses Mal genau so.

Wählen Sie im Vertrauen auf das vielleicht auch Unmögliche bitte unbedingt! Es könnte im Rahmen der demokratischen Mitbestimmung und unter Ausnutzung der Selbstheilungskräfte wahlkampfgeschädigter Politiker der absolute Renner werden. Ein seine guten Vorsätze umsetzender Politiker in Realität – also nicht nur auf dem Wahlplakat – ist allemal besser, als eine zu weich gebrannte Fliese im Bad, selbst wenn sie in der Werbung als „das beste was gibt“ angepriesen wurde und mindestens zwanzig Prozent Praktikerrabatt brachte. Billigprodukte bezahlt man zwei Mal…

Ihr Jürgen Walther

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