Triebwagen als brennende Fackel unterwegs

Von Bernd Dreßler

Viele Bahnunfälle wurden auf dem Streckenabschnitt Eibau–Mittelherwigsdorf der Südlausitzer Eisenbahn auch durch Leichtsinn an Bahnübergängen verursacht. Dem versuchte die Deutsche Reichsbahn in den 1930er Jahren mit einer Postkartenserie vorzubeugen (Repro aus „Eisenbahnunfälle in Sachsen“, Verlag Zeit und Eisenbahn 2002).

Repro aus „Eisenbahnunfälle in Sachsen"

Am 20. Februar 1960 müssen sich auf der Bahnstrecke zwischen Eibau und Mittelherwigsdorf gleich mehrere Schutzengel versammelt haben: Zur Mittagszeit an jenem Sonnabend hatte ein von Varnsdorf kommender planmäßiger Personenzug der tschechoslowakischen Staatsbahn während seiner Fahrt durch DDR-Gebiet gerade den Bahnhof Hainewalde in Richtung Mittelherwigsdorf passiert, als das Zugpersonal Feuer bemerkte. Der an letzter Stelle des Triebwagenzuges laufende Antriebswagen brannte, vermutlich durch einen Defekt am Motor .

Zugpersonal reagierte

Nach einem damals von der Abteilung Kriminalpolizei der Transportpolizei Zittau verfassten Bericht muss das Zugpersonal sofort reagiert haben. 400 Meter hinter dem Hainewalder Bahnhof wurde der Zug zum Stehen gebracht. Man versuchte mit Handfeuerlöschern dem Feuer Herr zu werden, jedoch ohne Erfolg. Daraufhin ließ man die Fahrgäste in die vorderen Wagen umsteigen und entschied sich für eine Lösung, die in dem Transportpolizei-Bericht so beschrieben wird: „Zwischen dem Zugpersonal und einem Angestellten des Bahnhofs Hainewalde wurde vereinbart, den Zug in den Bahnhof zurückzudrücken und dort die Brandbekämpfung vorzunehmen. Vom Bahnhof Hainewalde aus wurden inzwischen die Feuerwehren alarmiert und nach dem Bahnhof bestellt.“

Doch aus diesem logisch erscheinenden Vorgehen wurde nichts. Vielmehr überschlugen sich die Ereignisse. Statt nach Hainewalde zu fahren, musste sich der Zug Richtung Mittelherwigsdorf in Bewegung setzen, da das Rückdrückmanöver nicht gelang. Und: „Ein Abkuppeln des Triebwagens war ebenfalls nicht möglich, da sich der Wagenzug in einer Krümmung befand“, so die Transportpolizei.

Wie eine brennende Fackel muss der Zug daraufhin ins rund drei Kilometer entfernte Mittelherwigsdorf unterwegs gewesen sein, denn durch den Fahrtwind begünstigt, hatten die Flammen bereits auf dem vor dem Triebwagen laufenden Personenwagen übergegriffen. Zum Glück wurden die Feuerwehren sofort nach Mittelherwigsdorf umgeleitet. Die zwei brennenden Wagen konnten die Kameraden allerdings nicht mehr retten, sie brannten aus. Da grenzt es schon fast an ein Wunder, dass laut Transportpolizei „kein Personenschaden und kein Schaden am persönlichen Eigentum der Fahrgäste eintrat“. Zurückgeführt wurde das auf das „besonnene und disziplinierte Verhalten der Reisenden“. Leicht verletzt wurde allerdings der Triebwagenführer, als ihm beim Abkuppeln in Mittelherwigsdorf brennende Teile auf den Kopf fielen. Nach erster Hilfe vor Ort war er jedoch sofort wieder einsatzbereit.

Nur knapp entging die Bahn an jenem 20. Februar 1960 einer Katas-trophe, noch dazu einer, die wegen des tschechischen Zuges zu internationalen Verwicklungen geführt hätte. Wohl auch deshalb brauchten die Behörden über 20 Tage, um die Öffentlichkeit über das Unglück zu informieren, ehe am 12. März auf der Lokalseite Zittau der Sächsischen Zeitung ein dann allerdings recht detailreicher und Ursachen benennender Bericht erschien. Bis dahin wurde der Zwischenfall verschwiegen bzw. kochte die Gerüchteküche.

Dieses Unglück blieb nicht die einzige in der bisher rund 140-jährigen Geschichte dieser Eisenbahnstrecke, die historisch zur Südlausitzer Eisenbahn gehört (siehe Kasten). Aber es dürfte wohl zu den spektakulärsten gehören.

Quelle: SZ-online

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