Zimmermädchen im Schloss Hainewalde
Folgende Erinnerungen wurden dem Schlossverein von H. Michel freundlicherweise zur Verfügung gestellt und bieten einen netten Einblick in die damalige Zeit.
Meine Erinnerungen an das Leben auf dem Schloß Hainewalde
Anfang der 20-er Jahre war ich ein Jahr lang als Zimmermädchen bei der Freifrau von Kyaw beschäftigt. Ich ging in Stellung, wie man damals so sagte, obwohl meine schulischen Leistungen einen anderen Weg zugelassen hätten. Damals war das aber der normale Lebensweg für ein Mädchen aus einer Arbeiterfamilie.
Die Familie des Rittmeisters Ernst Freiherr von Kyaw war 1917 aus dem Vogdland nach Hainewalde gekommen, nachdem der „alte Kyaw“ verstorben war. Die Herrschaft Hainewalde, zu der früher die Rittergüter Hainewalde, Spitzkunnersdorf und Niederoderwitz gehörten, war ein Majorat, das immer von dem ältesten männlichen Nachkommen weiterzuführen war. Das Rittergut Niederoderwitz war bereits verkauft und das Rittergut Hainewalde an die Familie Illig verpachtet.
Ernst von Kyaw, als ehemaliger Berufssoldat, hatte keine Erfahrungen in der Landwirtschaft und zeigte auch keine Neigungen, sich um seinen Besitz in Spitzkunnersdorf zu kümmern. Die Freifrau von Kyaw, die von uns „die Gnädige“ genannt werden musste, führte deshalb oft Auseinandersetzungen mit ihrem Mann. Sie selbst war eine engagierte und temperamentvolle Frau.
Zur Familie des Ernst von Kyaw gehörten Ehefrau Melitta, geb. von Döring, die Tochter Esther, geschiedene Baronin von der Planitz, die jüngere Tochter Ilse, die noch unverheiratet war und der Sohn der Baronin, Hans Joachim. Sein Vater, der Baron von der Planitz, weilte jährlich mehrere Wochen auf Schloß Hainewalde. Er war Maler und ging mit seiner Staffelei oft in die Umgebung um Natur und Landschaft zu malen. Seine Bilder gefielen mir. Ein Bild nach einem mythologischen Thema hing im Salon. Mit Familienanschluß lebte auf dem Schloß das Kinderfräulein, eine junge Frau bürgerlicher Herkunft aus Leipzig.
Die ältere Tochter hielt sich fast ständig in Spitzkunnersdorf auf, kümmerte sich aber kaum um die wirtschaftlichen Belange des Ritterguts. Im Schloß waren für sie mehrere Räume eingerichtet.
Die Mißwirtschaft in Spitzkunnersdorf, wo wahrscheinlich die Inspektoren in den eigenen Geldbeutel arbeiteten und die Inflation in den 20-er Jahren, waren offensichtlich die Ursachen für die folgende Pleite. Die Kyaws mussten ihren Besitz verkaufen, verließen Hainewalde 1927 und wohnten dann in Pullach bei München, wo sie ein bescheidenes Leben führen mussten.
Zu den Arbeitnehmern der Herrschaft gehörten die Gärtnerfamilie Rähder, der Förster Reußner, der Kutscher Valentin mit seiner Frau und drei Zimmermädchen, eines davon war ich. An den Freitagen bügelte die Frau des Kutschers die Wäsche und besserte diese auch aus.. Der Kutscher hatte Wohnung und Stall im Bereich des Hainewalder Ritterguts, da im Schloß dafür die Räumlichkeiten fehlten.
Stundenweise kamen Frauen aus dem Dorf, um z.B. die Fußböden zu scheuern. Zeitweise war auch eine Köchin angestellt. War diese nicht da, kochte die gnädige selbst, was sie hervorragend beherrschte. Sie erklärte uns dabei immer, dass eine gute Köchin mit wenig Geschirr auskommt. Kochte sie aber selbst, so war fast kein sauberer Topf mehr im Schrank und wir hatten einen riesigen Abwasch.
Die Gärtnerfamilie wohnte in der Schlossgärtnerei, das ist das Haus, das auf der linken Seite der untersten Terrasse steht. Der Förster wohnte im Försterhaus auf der Kleinen Seite vor dem eigentlichen Schlossgelände.
Unterhalb der Terrassen befand sich auf der rechten Seite ein Brunnen mit Fontäne, in dem Goldfische schwammen und auf der linken Seite ein Rondell, das von dem Gärtner entsprechend der Jahreszeit bepflanzt wurde. Im links anschließenden Park, Irrgarten genannt, standen an den Wegen steinerne Urnen mit Inschriften.
Nun zum Schloß, seinen Räumlichkeiten, ihrer Nutzung und Ausstattung, so weit sie mir als Zimmermädchen zugänglich waren und so weit ich mich erinnere nach fast 80 Jahren.
Der Hauptzugang zum Schloß war immer von der Terrassenseite her. An Bepflanzungen der Terrassen erinnere ich mich nicht.
Auf der dritten Terrasse von unten befand sich ein Brunnen, aus dem wir Trink- und Kochwasser holen mussten. Das sogenannte Pantschwasser zum Abwaschen des Geschirrs, für die Wäsche und das Bad, wurde aus der Wasserleitung im Schloß entnommen.
Auf der oberen Terrasse angekommen, war links und rechts je ein Seitenflügel mit separatem Zugang von außen, wie noch heute. Im rechten Seitenflügel war der Tanzsaal, der zu meiner Zeit unmöbliert war und nicht benutzt wurde. Für Festlichkeiten stand der grüne Saal zur Verfügung, auf den ich noch zu sprechen komme.
Dem Tanzsaal vorgelagert waren ein Flur, in dem rote Polsterbänke standen. Dazu gehörte eine kleine Küche zur Zubereitung eines Imbiß. Außerdem befand sich in diesem Seitenflügel das sogenannte Sälchen, ein kleiner mit Korbmöbeln ausgestatteter Raum, in welchem die Herrschaft im Sommer, bei offener Tür zur Terrasse, den Nachmittagskaffee einnahm.
Im linken Seitenflügel befanden sich das Wohn- und Schlafzimmer der Baronin und eine Raritätenkammer. An den Inhalt letzterer kann ich mich nicht genau erinnern. Außerdem gab es mehrere kleine Räume, die Aktenzimmer genannt wurden.
Im Hauptgebäude des Schlosses betrat man zuerst eine Halle, diese teilte eine farbig verglaste Tür. Der vordere Teil war ausgestattet mit Tisch und Stühlen in der Art der Oberlausitzer Bauernmöbel. An der Wand hing ein großer Spiegel und auf dem Tisch stand eine Schale zur Ablage der Visitenkarten. Außerdem war eine Blumenkrippe mit Blattpflanzen vorhanden. Der Fußboden war schwarzweiß mit Platten ausgelegt. Der hintere Teil der Halle war leer. Hier hielten sich gewöhnlich drei Hunde auf.
Der Hinterzugang der Halle wurde nur benutzt, um sich das Treppensteigen über die Terrassen zu ersparen, d.h. man fuhr mit der Kutsche über den Weinberg.
Am Hintereingang befand sich ein steinernes Medusenhaupt, von dem gesagt wurde, dass es im Schloß spuken würde, wenn man es entfernt.
Von der Halle aus gelangte man auf der linken Seite in die Wirtschaftsräume. Dazu gehörten die Küche, die Vorratskammer, die Plättstube mit Nähmaschine und das Bad. Letzteres war mit Wanne und Dusche ausgestattet und wurde nur am Badetag beheizt, gleichermaßen für die Herrschaft und das Dienstpersonal. Neben dem Bad lag meine bescheidene Mädchenkammer. In ihr hatten ein Bett, ein Schrank, ein Tisch mit Waschgeschirr und ein Stuhl Platz. Diese Kammer war im Winter ausreichend warm, während es die anderen Zimmermädchen im 2. Obergeschoß sehr kalt hatten.
Im rechten Teil des Erdgeschosses lagen das „kleine Zimmer“, ein normaler Wohnraum, und der Salon der Baronin, „blaues Zimmer“ genannt wegen der blauen Polstermöbel. Diesen Salon zierten schöne Gläser und Porzellane. Es folgte das Jagdzimmer mit Tisch und Stühlen, einer Deckenleuchte aus Geweihstangen und Jagdtrophäen an den Wänden. Im Jagdzimmer stand ein großes Buffet, in welchem das Meißner Tafelgeschirr und die Gläser aufbewahrt wurden, die nicht täglich in Gebrauch waren …
Der letzte Raum im rechten Teil des Erdgeschosses enthielt die Bibliothek. In Regalen aufgereiht standen dicke, in Schweinsleder gebundene Bücher, meist lateinische Schriften.
Im ersten Obergeschoß befand sich in der Mitte der „grüne Saal“, so genannt wegen seiner Ausstattung mit grünen Postermöbeln, die der Rundung der Außenwand angepaßt waren. Die Polstermöbel hatten barocke Formen. Im Saal standen weiter ein Flügel und eine Palme. An den Wänden hingen die sogenannten Ahnenbilder und Schauteller aus Meißner Porzellan. Porzellangegenstände gab es auch in den meisten anderen Räumen.
Neben dem günen Saal, über der Küche gelegen und mit dieser durch einen Geschirraufzug verbunden, lag das Eßzimmer. Dort stand ein Buffet, in dem das Geschirr für den täglichen Gebrauch untergebracht war, das Meißner Zwiebelmustergeschirr. Weiter gehörten zur Ausstattung Tische, Stühle und ein Chaiselongue.
Auf dieser Seite des 1. Obergeschosses befand sich das Kinderzimmer, was im wesentlichen die Spielsachen des Enkels enthielt. Daneben lagen zwei Schlafzimmer. In dem einen schlief die Gnädige mit ihrem Enkel, in dem anderen der Freiherr von Kyaw. Die Einrichtungen bestanden aus Betten, Waschtischen, Schränken und Sitzgelegenheiten. Auch waren Kachelöfen darin, denn die meisten Räume des Schlosses hatten eine Ofenheizung, eine Zentralheizung gab es nicht.
Auf der anderen Seite des grünen Saals, also zur Brennerei hin gelegen, befanden sich die sogenannten Prachtgemächer. Zu diesen Prachtgemächern gehörten ein blau gehaltenes Damenzimmer und das Herrenzimmer mit schweren Ledersesseln, Bücherschrank und Schreibtisch. Auch lagen in diesem Teil das Zimmer der jüngeren Tochter und nach hinten gelegen das Zimmer des Kindermädchens.
Außerdem gab es auf dieser Etage einen weiteren Salon, ein Raum mit hell gemusterten Polstermöbeln im Rokokostil und einem Kamin mit Kaminuhr.
Im 2. Obergeschoß befanden sich 6 Fremdenzimmer und die Kammern der Bediensteten. Wenn die Fremdenzimmer alle durch Gäste belegt waren, hatte der Kutscher Valentin die Aufgabe, die Schuhe zu putzen. Das tat er denkbar ungern und einmal geriet er darüber so in Wut, daß er alle Schuhe durcheinander warf. Da die Schuhmode damals, besonders für Herren, noch nicht so vielseitig war wie heute, bereitete ihm anschließend die Zuordnung der Paare große Schwierigkeiten.
Im 3. Obergeschoß befand sich der Rittersaal, in dessen Mitte ein großer Tisch stand. Der Rittersaal wurde nicht benutzt. Allenfalls wurden dort die Kuchen aufbewahrt, z..B. vor der Kirmes. Die Wände dieses Saales hingen voller Gemälde, darunter das eines polnischen Königspaares. Damit wollten die Kyaws auf ihre wahrscheinlich ursprünglich polnische oder zumindest slawische Abstammung hinweisen. Besonders beeindruckte mich ein Bild, auf dem dargestellt war, wie einem Menschen die Haut abgezogen wurde.
Über dem Rittersaal war der Wäscheboden und von dort der Aufstieg zum Schlossturm.
Im gesamten Schloß gab es vier Trockenklos. Das von der Herrschaft besaß ein Keramikbecken, das mittels eines Wasserkruges manuell gespült werden konnte.
Auf der Seite zur Brennerei hatte das Schloß große Keller. In Erinnerung sind mir die vielen Wein- und Wildkeller. In letzterem hingen nach der herbstlichen Jagd viele Hasen und Rehe und es gab in den Wintermonaten oft Wildgerichte. Da zwischen Herrschaftskost und Dienstbotenkost nicht unterschieden wurde, habe ich in dieser Zeit täglich gegessen, wie es sonst am Tisch einfacher Leute höchstens an Feiertagen möglich war.
In einem der Keller befand sich ein Kessel, der zum Schweineschlachten genutzt wurde, das die Aufgabe des Fleischermeisters Gustav Tempel war. Dieser Keller war mit einfachen Holztischen und –bänken ausgestattet und einmal im Jahr, im Oktober, gab die Herrschaft dort ein einfaches Essen für die Bedürftigen des Ortes. Das war natürlich nicht zu vergleichen mit den festlichen Diners, z.B. für die Herrengesellschaft der Jagdgäste oder für die Honoratioren von Hainewalde (Lehrer und Pfarrer) und den Adel aus den umliegenden Orten. Da wurde im grünen Saal eine Festtafel gedeckt mit Meißner Porzellan, in diesem Falle das Weinlaubservice. Der Schlossgärtner hatte diese Festtafel mit Streublumen und andren Blumenarrangements zu dekorieren.
Große Feste gab es im Schloß nicht so oft. Auch die Geburtstage der Mitglieder der herrschaftlichen Familie wurden in aller Stille begangen.
Ich erinnere mich noch, dass es zu meinen Aufgaben gehörte, etwa im Abstand von 14 Tagen mit einem Korb, gefüllt mit Essentöpfchen, alle ehemalige Bedienstete zu besuchen. Dazu hatte ich mir eine weiße Schürze umzubinden.
Das sind meine Erinnerungen an das Leben auf dem Schloß Hainewalde zur Zeit der Kyaws, erzählt im 94. Lebensjahr und von meinem Sohn niedergeschrieben.
Helene Michel
Dresden, im Dezember des Jahres 2000
Quelle: schloss-hainewalde.de