Wie aus Stofffetzen ein Musketier-Umhang entsteht

Von Katja Zimmermann

Wie aus Stofffetzen ein Musketier-Umhang entsteht

Redakteurin Katja Zimmermann bei Annika, die sich ein schmuckes Stirnband herstellt.

Ein leuchtend oranges Stoffteil von der Größe eines Bettlakens liegt auf dem Saalboden. Die elfjährigeLena aus Leutersdorf hockt am Donnerstagvormittag davor und überlegt, wie sie es zuschneiden könnte. “Ich möchte einen Umhang für Robin machen”, erklärt das Mädchen mit den dunklen Haaren.

Die Mädels unter den 30 Winterlagerkindern, alle zwischen acht und dreizehn Jahren alt, schneidern im Eurohof Hainewalde Kostüme für den “Lumpenball”. Der soll am Abend stattfinden. Die Jungs dagegen halten sich lieber an die Saaldekoration.

“Ich habe dem Luftballon extra eine Fratze gemalt und nun sieht man sie nicht”, ärgert sich der neunjährige Kurt aus Waltersdorf. Den Ballon hat er gerade an seinem Band so ungünstig aufgehängt, dass dessen Gesicht nun ausgerechnet an die Decke zeigt. Auch die anderen Jungs erwecken lieber Luftballons mit gemalten Gesichtern zum Leben oder bauen Hüte als die Nadel in die Hand zu nehmen. Das überlassen sie den Mädels.

Hässlich ist schön

Das rotweißkarierte Stoffteil soll mal ein Rock werden. Mit Stecknadeln steckt die zwölfjährige Lisa aus Jonsdorf daran einen Rand von etwa zwei Zentimetern fest, bevor sie ihn umnäht. “Sonst franst das aus”, erklärt sie fachmännisch.

Sie ist eins der Kinder, die sich beim Schneidern besonders geschickt anstellt. “Ich hab an einer Näh-AG teilgenommen und sogar eine 1 bekommen”, verrät sie. Ihre elfjährige Freundin Helene aus Zittau möchte sich ein Kleid nähen. Schneeweißes Leinen hat sie sich dazu zurechtgelegt. Geduldig näht sie daraus eine etwa einen Meter lange Schlaufe, die sie sich ohne Mühe über den Kopf ziehen kann. Eine Art Sommerkleid wird daraus. Jetzt fehlen nur noch Accessoires.

Grün, orange, lila, blau. Viele Bündel bunter Wollfäden liegen akkurat geordnet und zusammengebunden auf dem Bein von Betreuerin Barbara Terfort. Eine Perücke soll das werden, erklärt die blond gelockte Frau. Sie weiß nur noch nicht, wie sie die wollenen Strähnen an ihrem Haupt befestigen soll. “Wahrscheinlich mit Hilfe von Schlüpfergummi”, sagt sie lachend. Hässlich sei sowieso schön und viel besser herzustellen. Deswegen auch die Idee mit dem Lumpenball: “Wenn nichts akkurat sein muss, macht das Ganze viel mehr Spaß.”

Unterdessen hat Lena eine Idee, wie aus dem orangen Stoffstück ein Umhang für Robin entstehen kann. Ihre Schulfreundinnen Siiri (10) und Tabea (11), ebenfalls aus Leutersdorf, helfen ihr dabei. Sie halten das Tuch in so einer Spannung, dass sich die Schere mit einer flüssigen Bewegung durch den Stoff reißen lässt. Riiiietsch! So dauert jeder Meterschnitt nur ein paar Sekunden. Sie schwelgen in Erinnerung der letzten drei Tage. “Das Eseltrecking gestern war toll”, sind sich die drei einig. Im Gegensatz zu ihrem Sommerbesuch mit der Schule verhalten sich die Tiere jetzt ganz anders haben die drei mit Erstaunen festgestellt. “Die Tiere wollten ganz schnell wieder in den Stall”, erzählt Siiri.

Das Toben an der frischen Luft tut Wunder. “Die Kinder schlafen besser als ich dachte”, erzählt Barbara Terfort, “früh stehen sie sogar alleine auf und gehen mit den Mitarbeitern die Tiere füttern.” Viele der Kinder sind aus der Umgebung, aber auch aus der Gegend von Chemnitz, Leipzig und Dresden sind ein paar angereist.

Die mystische Ballkönigin

Florentine – “Ich bin fast elf” – aus Neustadt in Sachsen wirkt in ihrem schwarzen Bettlaken, das sie sich um den Brustkorb geschnürt hat, wie eine mystische Ballkönigin. Zurzeit hält sie sich den Stoff noch fest an den Leib gedrückt, aber Freundin Alina (11) aus Delitzsch hat schon eine wunderbare Idee, wie dem Abhilfe zu schaffen ist. Mit noch etwas ungeübten Bewegungen näht sie ihr auf ein paar Zentimetern ein feuerrotes Band auf Schlüsselbeinhöhe an den schwarzen Stoff. Dann braucht Florentine es nur noch im Nacken verknoten; mit etwas Ähnlichem hat sie schon ihre blonden Haare zusammengebunden. Eine rote Schärpe um den Bauch und fertig ist das edle, schulterfreie und bodenlange Kostüm.

Die 13-jährige Jennifer aus Zittau hatte inzwischen eine ähnlich ausgefallene Kostümidee. Der Körper steckt in einer Art schwarzem Überwurf. Den Kopf hat sie mit einem schwarzen Riesenhut geschmückt, daran einen schwarzen Tüllschleier befestigt. “Ich geh als Trauernde”, erklärt sie ernsthaft. Einen Grund dafür habe sie allerdings nicht, beruhigt sie die plötzlich erschrockenen und mitleidigen Gesichter um sie herum.

Auf seinem Rücken hängt ein oranger Umhang, um den Bauch ist eine Schärpe von der gleichen Farbe geschnallt, am Hals prangt ein Pelzkragen. Auf dem Kopf sitzt eine Art Musketierhut. – Mittlerweile ist Robin (10) durch die drei Leutersdorfer Mädels gut ausstaffiert worden. “Wir haben auch schon Schneefiguren gebaut”, erzählen sie kichernd. Eine Schildkröte mit dazugehörigem Nest und Eiern hätten sie modelliert. Diese Spezies hätten den anderen auch so gut gefallen, dass im Garten plötzlich eine Schwemme von Schneeschildkröten auftrat.

Alle – auch Erik Smala aus der Verwaltung, der mit Begeisterung und großzügig mit schwarzer Wolle auf seinen roten Umhang große Knöpfe und Flicken genäht hat – sind schon darauf gespannt, wie ihre selbst geschneiderten Kostüme am Abend zum grusligen Lumpenball wirken werden. Bowle aus Maracuja- und Kiwisaft soll es geben, haben sie gehört, und coole Faschingsspiele, bei denen die Discoanlage Nebel auf die Tanzfläche spuckt. Da wird Robin “Musketier” aus Leutersdorf richtig schön auffallen. Aber vorher steht noch Sport auf dem Programm. – Bei einer zünftigen Winterolympiade.

Quelle: SZ-Online vom 18.02.2012

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